„Schrei doch, wenn du kannst!“ lautet der Slogan eines bekannten Onlineshops. Und tatsächlich würde ich sehr gerne in Jubelgeschrei ausbrechen, wenn viele Shopbetreiber nicht dafür sorgen würden, dass ich ständig in die Teppichkante beissen will. Aber der Reihe nach.
Meine angehende Schriftstellerkarriere verlangte nach einem neuen Schreibgerät. Handschrift hat ja bekanntlich Klasse und ein edler Federgriffel wertet die Bedeutung der eigenen geistigen Ergüsse enorm auf. Ausserdem ist der genutzte Spiderman-Namensvetter in die Jahre gekommen, der Tintenfluß reißt öfter ab und mit ihm mein frühseniler Geduldsfaden. Also reifte der Plan zum Kauf eines neuen Füllfederhalters. Nicht wieder der gleichen Machart und Budgetklasse, sondern etwas Elegantes. Eine erste Recherche ergibt den französischen „weißen Berg“. Das klingt toll, Französisch ist die Sprache der Gebildeten und hoch hinaus will ich auch. Also werfe ich die Suchmaschine an und bereits nach wenigen Augenblicken ist klar, dass ich mich entscheiden muss: entweder ein neues Auto oder einen Füller. Leider übersteigt sowohl das eine als auch das andere meine finanziellen Mittel. Also, weiter suchen. Vom Wassermann habe ich auch schon einmal gehört. Nicht ganz das Niveau des Bergs, aber eher meine Preisklasse. Aber dann durchzuckt es mich: der Graf vom Sektschloss! Alter deutscher Adel! Das muss doch das richtige sein. Edel, schwer, mit breiter Feder für ein schönes Schriftbild. Also, zackig auf die Amazing-Webseite und bestellt. Primo jetzt heißt in diesem Fall allerdings erst Über-Über-Übermorgen. Egal, der Dichter übt sich in Geduld.
Drei Tage später dann die SMS. „Der Fahrer ist unterwegs zu Dir!“ Hurra, ein erster Freudenschrei. Dann die zweite SMS: „Der Fahrer ist noch 6 Stops entfernt!“ Wunderbar! „Der Fahrer ist noch 4 Stops entfernt!“ Das Kribbeln steigt. „Der Fahrer ist noch 8 Stops entfernt!“ Huch, was ist da passiert? Waren es nicht gerade noch vier? Hat der Fahrer irgendwelche versteckten Pakete im Laderaum gefunden? Oder wurden weitere Pakete mit Fallschirmen direkt auf seine Ladefläche abgeworfen? „Der Fahrer hat noch einige Lieferstopps vor sich!“ Aha, also dauert es offensichtlich noch etwas – und prompt klingelt es eine Minute später an der Tür. Fast renne ich vor Freude schreiend auf die Straße, um die Tuschequelle der Inspiration in Empfang zu nehmen. Ehrfüchtig trage ich das kubikmetergroße Paket die Stufen hinauf und reiße es bereits unterwegs auf.
Eine Sintflut an Verpackungsmaterial ergießt sich aus der Öffnung. Ja, so eine Götterfeder will gut geschützt sein wie Escalibur. Unter den Massen entdecke ich die Geschenkverpackung des Füllers mit dem Wappen des Herstellers. Wahrhaftig, ein Geschenk von mir an mich, weil ich mich so liebe. Nach einem kurzen Moment der Andacht hebe ich den Deckel der Verpackung – und dann entfährt mir tatsächlich jener Schrei. Die Feder ist fein und nicht breit. Bestellt war eine B, geliefert wurde eine F. Gut, dass kann mal vorkommen. Diese Buchstaben liegen so nah beieinander auf der Tastatur, da kann man sich schnell vertun. Meine Enttäuschung verbergend, packe ich die Feder wieder ein, zwinge das Verpackungsmaterial mit der Wucht meines Körpergewichts zurück in das Paket der Pandora und beantrage auf der Amazingseite Ersatzlieferung. Diese wird auch „jetzt!“ in der nächsten Woche geliefert. Aber wehe, wehe, wenn ich die falsch gelieferte Feder nicht innerhalb kürzester Zeit zurück sende. Dann droht mir die Webseite damit, mich und meine Familie meistbietend zu versteigern und meinen weltlichen Besitz zu konfiszieren, um die imensen Kosten der Logistik zu decken. Also bleibt nichts weiter als zu warten und noch den alten, kratzigen, inkontinenten Füller zu bemühen.
Darum ist diese Geschichte auch in F und nicht in B geschrieben.